Dienstag, 30. September 2008

Kunsttipp Oktober von Stefan Zeiler


Vincent Van Gogh in der Albertina, Wien

Mein vielleicht nicht repräsentativer Spaziergang durch die OPEN ART München, die dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen "feierte" (insofern Kunst heutzutage irgendetwas feiert) hat ergeben: es überwiegt der Inhalt, aber der leidenschaftslos vorgetragene Inhalt, und man muss schon nach Wien fahren, wenn man Bilder sehen will, die sich sowohl auf visuell erfahrbare Wirklichkeit einlassen, als auch diese Wirklichkeit deuten und leidenschaftlich interpretieren, und die doch zugleich Bilder sind, die sich selber aussagen, die also, mit anderen Worten, Formen- und Farbengebilde darstellen, welche ein so simples Motiv wie einen Heuhaufen und eine Wolke oder eine Flasche mit Zwiebeln in eine starke Ausdrucksgebärde, eine Bilderfindung verwandeln.

Ich spreche von den Bilder Van Goghs, die derzeit in einer einzigartig umfangreichen und qualitativ hoch stehenden Auswahl in der Albertina in Wien zu sehen sind (in meiner Erinnerung über 50 Bilder und an die 90 Zeichnungen) und vor denen ich mich vier Stunden lang aufgehalten habe, ohne alles gesehen zu haben. Es ist schon viel über Van Gogh gesagt und geschrieben worden und doch gelingt es dieser Ausstellung, auf Wichtiges, aber bisher nur wenig Bekanntes hinzuweisen: nämlich auf die enorme intellektuelle Kapazität dieses Mannes, der sich seine Kunstmittel systematisch erarbeitet hat und alles andere als ein von Einsamkeit und Emotion und Krankheit gesteuertes "Malschwein" war.

Seine Arbeitsweise ist, was ihre Disziplin betrifft, durchaus vergleichbar mit der sehr präzis durchdachten Arbeitsweise von Seurat, nichts in seiner Orts- und Motivwahl, seiner Lektüre, seiner Mal- und Zeichentechnik, auch nichts in der Wahl seiner Porträtmodelle, Stilllebengegenstände oder seiner kunsthistorischen Arbeitsvorlagen (nach Delacroix, Millet, Rembrandt u. v. a.) bleibt intellektuell unreflektiert (worüber die Briefe unmissverständlich und sprachlich großartig Auskunft geben), so dass selbst ein so kultivierter und weit gereister Großbürger wie Gauguin seinem Kollegen, bei allem persönlichem Vorbehalt, "große Intelligenz" bescheinigte. Ich halte Van Gogh überhaupt für einen der intelligentesten Menschen seiner Zeit, der genau die Möglichkeiten und Erfordernisse der damaligen Kunst erkannt, gegeneinander abgewogen und in einer schier unglaublich kurzen Zeitspanne zu einer Synthese geführt hat, wie es sie weder vor ihm noch nach ihm in dieser Konzentration gegeben hat: die Synthese von Natur und "autonomem" Bildausdruck, die auch Picasso so interessiert und nachhaltig beeinflusst hat.

Ein kleines Manko der Ausstellung ist, dass die sicherlich gerechtfertigte und auch überzeugend dargestellte Ausstellungsthese (siehe Ausstellungstext unten) die sehr komplexe Farbtheorie Van Goghs ganz in den Hintergrund treten lässt. Dazu mein Buchtipp: Kurt Badt: Die Farbenlehre van Goghs. dumont taschenbücher 1981

(Das Buch ist möglicherweise vergriffen)

VAN GOGH - GEZEICHNETE BILDER

Bis 8. Dezember 2008
Die große Herbstausstellung der Albertina präsentiert Vincent van Gogh aus einer völlig neuen Perspektive. Sie bringt den Maler van Gogh mit dem Zeichner zusammen und veranschaulicht mit 150 Werken, wie sehr die expressive Pinselführung in seinen Gemälden durch van Goghs ausdrucksstarke Zeichenkunst vorbereitet wird.

Die Ausstellung ist täglich von 9.00 bis 19.00 Uhr und am Mittwoch von 9.00 bis 21.00 Uhr geöffnet.