Freitag, 4. Juli 2008

Adolph Menzel in der Hypo-Kunsthalle München

ALLES ist es wert, genau betrachtet zu werden.

Die Adolph-Menzel Ausstellung „radikal real“ in der Hypo-Kunsthalle München


Was hat der Mann nicht alles gezeichnet! Alles hat er gezeichnet. In seinen Mänteln trug er acht Skizzenbücher in verschiedenen Taschen mit sich herum, um festzuhalten, was ihm wert schien, festgehalten zu werden. Und da war kein Ding zu klein oder zu gering: ein Mann, der auf dem Häusl sitzt oder an der Pissrinne die letzten Tropfen abschüttelt, ein Gerüst für die Dachdecker, der Kamm der Köchin Lina mit den darin feststeckenden Haaren, ein Altar, eine Prozession – später für ein Ölbild als Vorwurf gut zu gebrauchen – ein Nachtgeschirr und eine Familienszene mit Lampenlicht, Tiere, Bäume, technische Gerätschaften, Menschen. Er hat sehr genau hingeschaut und er muss rasend schnell gezeichnet oder ein eidetisches Gedächtnis gehabt haben, um auch noch so detailreich und -genau zu zeichnen.


Die Rede ist von Adolph Menzel. Von von Menzel, denn so durfte er sich in seinen späteren Lebensjahren nennen, aber der Adelstitel hat ihm so viel nicht genützt; weil, er war und blieb ein Außenseiter. Außenseiter, weil er in die Kunst- und Galerieszene nicht passte. Der Vater hatte eine Lithographiewerkstatt, dort lernte er. Begann zu arbeiten, besuchte Kunstschulen, nicht die offizielle Akademie. Arbeitete. Arbeitete. Arbeitete.


Der berühmte Satz, von dem ich immer nicht weiß, ob ich ihn preisen oder verdammen soll, „Genie ist Fleiß“, hier trifft er sicher zu. Aber Genie ist eben mehr als Fleiß, und das trifft hier erst recht zu. Denn wie Menzel nach dem frühen Tod der Eltern die Familie unterhält, nach dem Tod des Bruders noch dessen Fotostudio fortführt, erst spät zu Geld kommt, so dass er reisen kann, auch nach München, wo er das Hofbräuhaus liebt, mitten in der schon damals Touri-Schenke, und den Barberinischen Faun in der der Glyptothek, dessen laszive Eleganz und Marmorglätte er großartig festhält, mit Bleistift auf Papier, da waren ja der Fleiß und die Arbeit gewissermaßen nur der Hintergrund, vor dem er „trotzdem“ sehen und zeigen konnte, was er sehens- und zeigenswert fand.


Es gibt bei den Malern diesen dummen Streit zwischen Linie und Fläche. Die Zeichner stehn erstmal auf die Linie, die Maler halten Flächen für wichtigere. Ein müßiger Streit, beides braucht’s– aber dass zeichnen können eine gute (wenn nicht doch die) Grundlage ist, merkt man bei Menzel. Die Malerei hat er sich erst später und autodidaktisch angeeignet. Sind ihm auch technische Fehler passiert, so dass manche Ölbilder in argem konservatorischem Zustand sind, lauter Risse, wo man was sehen sollte. .Das Zeichnen, das einen genauen Blick auf die Wirklichkeit verlangt und verleiht, lernte er von Anfang an. Von den berühmten Bildern, dem Eisenwalzwerk, der unvollendeten Reverenz des Souveräns vor den Märzgefallenen 1848 – ja, die Bourgeoisie als aufsteigende, revolutionäre Klasse und einer, der sie beobachtet, das war, auch bei den Sanssouci-Bildern kein Adelsmaler – sind nur wenige da. Es geht bei dieser Ausstellung darum, nicht die berühmten Werke zu zeigen, sondern wie die Sicht des Künstlers, die in seinen Zeichnungen sich niederschlägt, sein ganzes Werk beeinflusst hat. Kein Auge drückt er zu gegenüber der Schönheit und gegenüber der Hässlichkeit der Welt. Dekorierte Offiziere im Zustand der Verwesung, Soldaten im Lazarett, ein wunderschönes junges Mädchen auf dem Totenbett. Mit sich selbst geht er nicht anders um: sein Fuß in Öl, eine Studie wie fürs ein medizinisches Lehrbuch oder die linke Hand die rechte zeichnend oder ein Selbst mit einer Zahnrose: Schauen, was da ist.


Einen Außenseiter-Gesichtspunkt sollte man nicht vergessen: die Kleinwüchsigkeit des Künstlers. Sie mag beigetragen haben, dass er trotz Ruhm und Geld lieber mit der Schwester verreiste, und, trotz durchaus vorhandenem Interesse an weiblichem Gebein unverheiratet blieb. Anders als Toulouse-Lautrec, der mit seiner adligen Herkunft sich wennschon dennschon um Konventionen nicht scherte, besuchte der Aufsteiger Menzel nicht die Bordelle, aber immerhin stieg er auf die Tische des Ballsaals, um einer opulenten Dame so richtig schön von oben ins Dekolleté zu schauen – und das Geschaute zu zeichnen.


Das ist eine faszinierende Ausstellung, die Christiane Lange, die Leiterin der Hypo-Kunsthalle in München, und Dr. Bernhard Maaz vom.Kupferstichkabinett in Berlin hier gemacht haben. Faszinierend unter anderem, einige Skizzenbücher am Bildschirm „durchzublättern“ – obwohl mir das Medium zu viel Distanz verschafft und nicht angenehm ist, weil sich noch eine Ebene zwischen Betrachter und Bild schiebt, ist doch andererseits die Abfolge, wie gesehen, so gezeichnet, höchst bemerkenswert. Oder wie Misslungenes ausgestrichen wird und neu noch einmal begonnen – man kann dem Arbeitsprozess des Künstlers wirklich folgen. Wo kriegt man das schon geboten?


1.7.2008 Jürgen Walla

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